Rechtsschutz gegen Corona-Beschränkungen geht in eine neue Phase

Rechtsschutz gegen Corona-Beschränkungen geht in eine neue Phase

Seit März 2020 gibt es umfangreiche Beschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie. Die von Regierungsseite ergriffenen Maßnahmen haben zu einer Welle von Gerichtsverfahren geführt. Viele Bürger und Unternehmen suchen Rechtsschutz gegen die vielen, neuartigen Ge- und Verbote. Neben Maskenpflicht und Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum sind Betriebsschließungen und Beschulungsfragen ebenso wie beispielsweise die Quarantäne bei der (Wieder-)Einreise oder das Verkaufsverbot von Silvesterfeuerwerk, das öffentliche Alkoholverbot oder die sog. 15-km-Regel bereits Gegenstand gerichtlicher Nachprüfung gewesen und werden es noch lange bleiben. An den Entscheidungen besteht großes öffentliches und mediales Interesse. Auch in der juristischen Fachwelt ist die Diskussion um die Frage, wieweit Grundrechte zum Zwecke des Gesundheitsschutzes einschränkbar sind, ungebrochen im Gange. Ob der Zweck stets auch alle in Betracht gezogenen Mittel heiligt ist die Kernfrage, die in nahezu allen der aktuellen Verfahren zu stellen ist.
Nun kommt der Corona-Rechtsschutz in eine neue Phase. Denn bislang waren es nahezu ausschließlich Eilverfahren, in denen die (Verwaltungs-)Gerichte Entscheidungen treffen konnten. Dabei entscheiden die Gerichte regelmäßig auf der Grundlage lediglich einer sog. summarischen Rechtsprüfung bzw. einer Interessenabwägung und Folgenabschätzung.

In den sog. Hauptsacheverfahren – dem ausführlicheren und detaillierteren Gegenstück zum Eilverfahren – steht nun eine noch intensivere und vollständige Prüfung der Maßnahmen an, die in einigen Fällen mit Spannung erwartet werden kann.
Nicht in allen Fällen, in denen es in den Monaten und Wochen Eilentscheidungen gab, wird es aber auch zu einem Urteil in der Hauptsache kommen. Viele Betroffene beschränken sich auf den Eilrechtsschutz, oft klagen nur einige  wenige weiter. Und dort, wo dies geschieht, erledigen sich viele der eingeleiteten Verfahren durch den Zeitablauf. Denn viele Maßnahmen aus der ersten Welle des Frühjahrs 2020 wurden bereits im Sommer wieder aufgehoben. Seit November 2020 gelten zwar wieder verschärfte Regelungen, doch auch diese werden voraussichtlich im Laufe des Jahres sukzessive wieder gelockert werden. 
Bis zur mündlichen Verhandlung und Entscheidung in einem Hauptsacheklageverfahren kann es jedoch oft gut ein Jahr oder länger dauern. Mit der Aufhebung der Maßnahmen durch die Regierung tritt aber oft bereits zuvor faktisch Erledigung ein. Das Verwaltungsrecht kennt jedoch das sog. Fortsetzungsfestellungsinteresse. Auch infolge der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts ist im Grundrechtsbereich auf Antrag über massivere Einschränkungen auch nach deren Wegfall noch eine Entscheidung möglich.
Im Fokus der Hauptsacheverfahren stehen voraussichtlich vor allen Dingen drei rechtliche Gesichtspunkte von Verfassungsrang: Der sog. Parlamentsvorbehalt, das Verhältnismäßigkeitsprinzip und der Gleichheitssatz. 
Schon nach der ersten Welle im Frühjahr 2020 wurde breit diskutiert, ob die Regierungen der Länder per Rechtsverordnung auf Dauer zulässig Grundrechte beschränken können, oder solche Einschränkungen nicht dem Gesetzgeber, also dem Parlament vorbehalten sein müssen. Gerichte und Stimmen aus der juristischen Fachwelt  meldeten Zweifel an. Der Gesetzgeber hat mit dem daraufhin neu geschaffenen § 28a IfSG für den Fall und die Dauer einer vom Deutschen Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite klarstellend Maßnahmen in das Infektionsschutzgesetz aufgenommen, die per Rechtsverordnung als Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19 geregelt werden können. 
Neben der Verhältnismäßigkeit, die von den Gerichten bereits in den Eilverfahren abzuarbeiten war, sind es vielfach Fragen der Gleichheitsgerechtigkeit, die die Betroffenen berühren und vor allem auch vor dem Hintergrund in diskutiert werden, welche Kontakte in einer Gesellschaft am ehesten verzichtbar sind. Dass z.B. Sportstätten oder bestimmte Betriebe geschlossen worden sind, während andere geöffnet blieben, ist wertend und bleibt erklärungsbedürftig. Schulen und Kitas wurden wegen der sozialen Folgen und des Bildungsauftrags so lange wie möglich offengehalten, Dienstleistungs- und Warenangebote der Grundversorgung wurden anders behandelt als Freizeitangebote. Zu berücksichtigen werden in den Verfahren auch die Beihilfen, die bei Betriebsschließungen gezahlt werden sollen, sein. Dennoch gibt es in der Frage der Abwägung oft nicht die einzig richtige Lösung.  
Wesentlicher Gesichtspunkt in den Hauptsacheverfahren kann aber auch die Vorbereitung von Schadenersatzansprüchen werden.
Die neue Phase, eine Art zweiter Welle, kann daher mit Spannung erwartet werden.